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Zwei außergewöhnlich gute Buchrezensionen zu dem Roman ELLBOGEN von Fatma Aydemir. Geschrieben von Selina Akpinar und Narges Rezaee. Viel Spaß beim Lesen!

von Selina Akpinar, 11.3

Hazal ist eine 17-jährige Deutschtürkin, die in Berlin-Wedding lebt und die Hauptfigur im Roman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir ist. Das Konzept einer jungen Deutschen mit Migrationshintergrund, die ihren Weg und sich selbst findet, ist ein guter Schritt in die Zukunft, um das Zusammenleben in Deutschland zu verbessern, dies ist mit diesem Roman jedoch nicht gelungen.

Hazal wird zu Anfang des Romans als eine typische türkische „Ausländerin“, die in Berlin lebt, dargestellt. Sie wird beim Klauen erwischt, kommt in Clubs nicht rein, kifft und trinkt und schreibt mit einem älteren Mann. Nicht nur das, sie spielt ihren Eltern zuhause die Rolle des braven Mädchens vor und macht bei unnötigen Anpöbeleien mit. Dieses Bild einer jungen „Ausländerin“, die in Deutschland lebt, ist nichts für Jugendliche, die einen Migrationshintergrund haben, da dieser Roman sich wie eine Verwirklichung verschiedener Stereotypen von jugendlichen „Ausländern“ für deutsche Staatsbürger anfühlt. Hazal, die es schon aufgrund ihres Geschlechts in dieser Welt schwer hat und zusätzlich mit zwei komplett unterschiedlichen Kulturen aufwächst und dabei nicht die geringste Ahnung hat, wie sie in dieser Welt am besten zurechtkommt ist mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Im Buch wird all dies jedoch verkürzt dargestellt als ein paar Auseinandersetzungen mit rassistischen Deutschen. Dieser Roman ist nichts Bahnbrechendes oder Augenöffnendes, da die meisten „ausländischen“ Jugendlichen Rassismus in der Öffentlichkeit oder Auseinandersetzungen zuhause gewohnt sind. Jede Person mit Migrationshintergrund geht anders mit ihrem Leben um, aber anstatt das Fatma Aydemir uns in diesem Roman erklärt und beibringt, wie kompliziert das Konstrukt einer geschlossenen Gesellschaft ist, die niemand Fremden reinlässt, zeigt sie uns verschiedene Krisen einer Teenagerin, die sich selbst zwischen den Seiten dieses Buches eher verliert als ihr wahres Ich zu finden. Wie sich Hazal in diesem Buch verhält ist als Ganzes eine komplett falsche Darstellung einer Jugendlichen, die zwischen zwei Kulturen steht. „Ausländische“ Kinder und Jugendliche, die in Deutschland leben, werden mit mehr Respekt und Stolz erzogen als so manch anderer. Dies wurde im ganzen Buch nicht ein einziges Mal aufgegriffen oder angedeutet: Das ganze Buch scheint wie ein Versuch einer authentischen Jugendlichen, die durch ihre Herkunft viele Krisen überwinden muss, fühlt sich für mich als 16-jährige Deutschtürkin aus Berlin-Wedding jedoch eher so an, als würde mit diesem Roman nur an der Oberfläche gekratzt werden.

Durch die Ich-Perspektive, die im Buch verwendet wird, kriegen wir das Gefühl näher an Hazal zu sein, was an manchen Stellen in diesem Buch sehr frustrierend ist. Obwohl in diesem Roman viele Stereotypen dargestellt werden, ist ein wahrheitsgemäßes Klischee überraschenderweise nicht vorhanden, und zwar die Loyalität unter Menschen, die Rassismus erfahren und die für uns mehr oder weniger Regel Nummer eins für Freunde und Familie ist. Hazal verrät in diesem Roman ihre Freunde, die sie - vor allem Elma - als Familie sieht. Nicht nur das, sie beklaut den Laden ihres Onkels und haut von Zuhause ab. Dieses Buch über eine „Ausländerin“ in Deutschland sollte für „Ausländer“ in Deutschland geschrieben worden sein, jedoch verliert man selbst als Jugendliche*r jeden Respekt für die Hauptfigur, wenn sie gegen die eigene Moral handelt. Dies tut Hazal mehrere Male durch das ganze Buch. Ein Beispiel ist, als sie ihren Eltern Tee macht und sie damit in gewisser Weise manipuliert. Ich selbst mache meinen Eltern regelmäßig Tee, doch dieser absurde Gedanke ist mir niemals gekommen und hat mich persönlich geschockt und zugleich sehr verärgert, ab diesem Zeitpunkt war Hazal für mich schon abgestempelt und ich habe nur gehofft, das Buch so schnell wie möglich zu Ende zu lesen.

In manchen Punkten hat man dann aber doch Mitleid mit Hazal.

Leider bin ich der Meinung, dass es für einige sehr ernstzunehmende Themen nur sehr kurze Einführungen gibt, so werden die Themen Vergewaltigungen, Mord oder Selbstmord nur kurz angeschnitten. Meiner Meinung nach könnte man die Gefühle von Hazal nach solch schrecklichen Ereignissen tiefer und genauer beschreiben. Zudem fand ich persönlich die Atmosphäre besonders in Istanbul sehr gezwungen und eintönig, so hat Hazal in Istanbul nichts wirklich Spannendes an sich und sie selbst wirkt irgendwie ganz anders als zuvor im Buch. Sie wirkt zu Anfang sehr laut und aufbrausend, was man auch an ihrer Sprache festmachen kann. Dabei wirkt das sehr künstlich und gezwungen, während sie in der Türkei eher leise und zurückhaltend erscheint.

Alles in allem würde ich das Buch als eine falsche Darstellung der Realität beschreiben. Ich würde ein Buch wie dieses auch niemandem weiterempfehlen, auch wenn ich sage, dass es für ein rein deutsches Publikum geschrieben wurde, finde ich es eher beleidigend und anmaßend Deutschen mit Migrationshintergrund gegenüber, da es ein falsches Bild vermittelt.

Ich bin persönlich von diesem Buch sehr enttäuscht und würde es nicht noch einmal lesen.

 

 

von Narges Rezaee, 11.3

 

Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“ ist eine sehr wütende Geschichte. Die Hauptfigur Hazal Akgündüz ist in Berlin-Wedding aufgewachsen und kommt aus einer sehr religiösen türkischen Familie. Als sie einen jungen Mann vor die U-Bahn schubst und damit einen Mord beginnt, entscheidet sie, nach Istanbul zu fliehen.

 

Es ist einer sehr wütende Geschichte, die Fatma Aydemir erzählt. Gleich zu Beginn der Geschichte habe ich mich in der harten Sprache wiedergefunden. Hazahl ist in Berlin-Wedding geboren und aufgewachsen, ihre Eltern sind sehr streng. Sie ist nicht zufrieden mit sich selbst und ihrem Leben. Sie hat sehr viele Probleme in ihrem Alltag. Hazal ist eigentlich ein ganz normales Mädchen, aber hängt zwischen den Kulturen fest und hat ihren Weg im Leben noch nicht gefunden. Hazals Eltern sind sehr religiös, sie wollen, dass Hazal sich wie ein türkisches Mädchen verhält. Sie lügt ihre Eltern immer an, um nicht erwischt zu werden. Da Hazal nicht so sein will, kifft, trinkt und lästert sie mit ihren Freundinnen Gül und Elma.

Hazal hat einen Jungen auf Facebook kennengelernt, sie ist ein bisschen verknallt in ihn, er heißt Mehmet und lebt in Istanbul. Mehmet ist der einzige Lichtblick in Hazals Leben. Hazal hat noch einen jüngeren Bruder, der rutscht gerade in die Kleinkriminalität ab. Hazal vertraut ihrer Tante Semra mehr als ihren Eltern, Tante Semra ist die einzige aus der Familie, die Hazal versteht. Sie hat Verständnis für ihre Nichte und könnte eigentlich ein Vorbild sein.

 

Entgegen vieler anderer Bücher, die sehr witzig oder cool wirken möchten, lässt „Ellbogen“ dabei auch viele nachdenkliche Gedanken zu. Das wird durch die Ich-Perspektive von Hazal auch sehr hart formuliert, dabei wird die Schwere ihrer Probleme und ihre Verletzlichkeit deutlich. „Ellbogen“ ist irgendwie auch politisch, da aktuelle Themen behandelt werden und einen Perspektivwechsel ermöglichen.

 

Kurz zusammengefasst ist „Ellbogen“ ein sehr spannender Coming-of-Age-Roman, der war von der ersten bis zur letzten Seite sehr interessant ist. Wenn man einmal anfängt „Ellbogen“ zu lesen, dann will man irgendwie gar nicht aufhören, weil es so interessant ist, man will immer weiter und weiter lesen.

Meiner Meinung nach ist „Ellbogen“ eine sehr aggressive Geschichte, welche mich sehr zum Nachdenken gebracht hat, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Kulturen zu leben. Ich empfehle das Buch weiter, da die Geschichte den Leser*innen die Möglichkeit gibt, mehr über sich selbst, die Welt und die vielen Perspektiven, die es gibt, zu lernen.